Topskorer: Jan Schäublin zieht Richtung Tor.

Bereit für den Höhenflug

Jan Schäublin ist der Topskorer im Schweizer Powerchair-Hockey-Nationalteam. Der Torjäger erzählt, was ihm Elektrorollstuhlhockey bedeutet und wie es ihm nach seiner schweren Blutvergiftung ergangen ist. Der Aargauer würde gerne mal einen Fallschirmsprung machen. Aber vorerst möchte er zu einem ganz anderen Höhenflug ansetzen.

 

Er ist zwar erst 20 Jahre alt, gehört aber schon zu den Grossen seines Sports: Jan Schäublin. Der Schweizer Offensivspieler möchte seine Torjäger-Qualitäten auch an der 5. IWAS-Powerchair-Hockey-WM in Sursee unter Beweis stellen. Am Dienstag, 9. August 2022, steht der Aargauer Elektrorollstuhlsportler im Eröffnungsspiel gegen den amtierenden Weltmeister Italien (20 Uhr, Stadthalle Sursee) ein erstes Mal im Fokus.

Jan Schäublin nimmt zum zweiten Mal an Welttitelkämpfen im Elektrorollstuhlhockey teil. Vor vier Jahren in Italien – die Schweiz hat sich im fünften Rang klassiert – schaffte er mit 18 Toren den Sprung in die Top 3 der Skorerliste. Am gleichen Anlass wurde die helvetische Offensivkraft zum besten Nachwuchsspieler des Turniers auserkoren.

Auch den drei letzten NLA-Saisons drückte Jan Schäublin den Stempel auf – jedes Mal wurde er Topskorer der Liga. Im vergangenen Championat etwa schoss er insgesamt 66 Tore für die Rolling Thunder Bern. Nur: «Obwohl ich auf die Torjägerkrone gewiss ein bisschen stolz bin, wäre ich lieber mit der Mannschaft Schweizer Meister geworden», sagt Jan Schäublin.

Halbfinal als Minimalziel
Jan Schäublin gibt für die Powerchair-Hockey-WM den Einzug in die Halbfinals als Minimalziel aus. Dann präzisiert er jedoch: «Ich möchte die Goldmedaille gewinnen!» Um dieses grosse Ziel zu erreichen, hätte das Team alles unternommen. «Die Vorbereitung auf die WM war für mich nicht nur zeitintensiv, sondern auch ein finanzieller Kraftakt», sagt Jan Schäublin. Um anzufügen: Ich bin deshalb noch auf der Suche nach Sponsoren.»

Nun gelte es, den Heimvorteil zu nutzen, sagt der sympathische Sportler. «Ich freue mich auf die vielen Schweizer Fans, die uns in der Stadthalle Sursee unterstützen werden.» Dann weist Jan Schäublin auf eine weitere helvetische Trumpfkarte hin: «Im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil trainieren wir auf einem Parkettboden. Dieser Boden ist viel besser als gewöhnlicher Turnhallenboden. Deshalb ist es wichtig für uns, dass die Organisatoren für die WM in Sursee ebenfalls Parkettboden verlegt haben. Das ist ein grosser Wettbewerbsvorteil.»

Weltmeisterliches Lob
Paul Emmering, Teammanager Schweiz und deutscher Goldmedaillengewinner bei der WM 2010, charakterisiert seinen Führungsspieler wie folgt: «Jan ist auf dem Feld ein Chaot. Er versteht seine überraschenden Aktionen oft selbst nicht so genau. Aber das ist ganz gut so. Wie soll erst der Gegner wissen, was in Jans Kopf vorgeht?» Jan Schäublin quittiert Paul Emmerings Aussage mit einem Schmunzeln: «Ja, er hat recht. Meine Aktionen mögen vielleicht etwas willkürlich aussehen, aber meistens kann ich Akzente setzen.»

Powerchair Hockey nimmt im Leben von Jan Schäublin einen grossen Platz ein. «Elektrorollstuhl-Hockey gibt mir ein hohes Selbstwertgefühl. In diesem Sport bin ich stark. Die wöchentlichen Trainings und die Spiele sind für mich wichtige Lebenspfeiler», sagt die Nummer 11 des Schweizer Nationalteams.

Mit dem Helikopter ins Kinderspital
Sieben Jahre alt war Jan Schäublin, als er plötzlich Fieber bekam und violette Punkte auf seiner Brust entdeckte. Erst dachte er, es sei eine heftige Grippe. Seine Mutter schaltete aber schnell: «Mam rief einen Arzt an, der mich sofort ins Spital einwies. Dort wartete bereits der Helikopter auf mich. Ich wurde ins Kinderspital nach Zürich gebracht, wo mich die Ärzte zwei Wochen lang ins künstliche Koma versetzten. Dann wurde ich unter Vollnarkose operiert.» Jan Schäublin erlitt eine Blutvergiftung, ausgelöst durch Bakterien der Art Meningokokken.

Über 200 Vollnarkosen
Jan Schäublin musste viele Operationen über sich ergehen lassen. Bei diesen chirurgischen Eingriffen entfernten die Ärzte abgestorbenes Gewebe. Schliesslich mussten alle Gliedmassen amputiert werden. «Ich war insgesamt über ein halbes Jahr im Spital. Ich erinnere mich kaum mehr an diese Zeit. Erst kürzlich habe ich in meiner Krankenakte gelesen, dass ich über 200 Mal in Vollnarkose versetzt wurde», erzählt Jan Schäublin.

Der Reiz des Fallschirmspringens
Jan Schäublin hadert nicht mit seinem Schicksal: «Ich bin mit dieser Krankheit mehr oder weniger aufgewachsen. Ich freue mich auf das, was ich trotz meiner Beeinträchtigung tun kann.» Jan Schäublin wohnt bei der Familie seiner Schwester in Richterswil am Zürichsee. «Meine Schwester hat drei Kinder. Da läuft immer etwas», sagt Jan Schäublin. In seiner Freizeit geniesst er Filme wie «The Wolf of Wall Street», Hip-Hop-Musik, das Bad im Zürichsee oder den Ausgang mit Kollegen. Befragt nach seinem grossen Wunsch, sagt Jan Schäublin: «Fallschirmspringen.»

Nur keine Eile: In dieser Woche kann Jan Schäublin einen anderen Höhenflug hinlegen.

Autor: Thomas Wälti